Adolph von Menzel, Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn
Zusammenfassung
Adolph von Menzel, der als bedeutendster deutscher Vertreter des Realismus gilt, hat im Jahre 1847 ein Ölgemälde von herausragender Qualität mit dem Titel »Die Berlin-Potsdamer Bahn« geschaffen, das als die erste Darstellung einer Eisenbahnstrecke im deutschen Raum angesehen wird. Die 1838 eröffnete Bahnstrecke von Berlin nach Potsdam war die erste Bahnverbindung in Preußen und hatte wegen der technischen Ausführung und der Vorschriften, die für einen geregelten Bahnverkehr zu entwickeln waren, grundsätzliche Bedeutung für die Entwicklung der Eisenbahn in Preußen. Das Gemälde führt mit den Mitteln der bildenden Kunst zu einer frühen Phase der Industrialisierung und stellt die Eisenbahn als prägenden Motor für Industrie und Handel dar. Noch ohne Blick für soziale Veränderungen erkennt Menzel die Bedeutung der Geschwindigkeit für das Zusammenwachsen von städtischen und ländlichen Strukturen.
Kontextualisierung
Adolph von Menzel, Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn
Uwe Schaper
Im Jahre 1847 schuf Adolph von Menzel (1815–1905), der als der bedeutendste deutsche Vertreter des Realismus gilt und dessen 200. Geburtstag 2015 begangen wurde, sein Ölgemälde von der ersten Eisenbahnstrecke in Preußen, die seit 1838 von Berlin nach Potsdam führte. Dieses Gemälde hat neben seiner herausragenden künstlerischen Qualität nicht zuletzt deshalb Berühmtheit erlangt, weil es als die erste Darstellung einer Eisenbahnstrecke in der bildenden Kunst im deutschen Raum angesehen wird.
Menzel gelingt in seinem Gemälde die Verbindung von Stadt und Land. Im Vordergrund dominieren Wiesen und Felder in den Erdfarben Braun und Grün, während im Hintergrund nur schemenhaft und in Grautöne übergehend Berlin dargestellt wird. Es entsteht der optische Eindruck, dass Berlin nach und nach die die Stadt umgebende Landschaft »überzieht«. Stadt und Land werden im oberen Bilddrittel von einem stark mit Wolken verhangenen Himmel überwölbt. Die horizontale Komposition des Bildes wird vertikal von einem aufgeschütteten eingleisigen Bahndamm mittig durchschnitten, auf dem eine Dampflokomotive aus der Stadt heraus etliche Güter- und Personenwaggons in einem Bogen durch die Landschaft in Richtung Potsdam zieht und dabei das Land in eine Rauchschwade hüllt. Eine überdimensionierte Baumgruppe dominiert am linken Bildrand. Links vom Bahndamm befindet sich eine Hofstelle und direkt am Damm im Scheitelpunkt des Bogens ein Bahnwärterhäuschen an der Kreuzung des Dammes mit einer Straße oder einem Weg.
Menzel hat sich im Laufe seines künstlerischen Schaffens häufig und grundsätzlich mit den Folgen der Industrialisierung für die Menschen auseinandergesetzt und hierbei auch den Themenkreis »Menschen und Eisenbahn« oder »Menschen in der Eisenbahn« mehrfach zu seinem Sujet erwählt. Insofern fällt es bei dem Ölgemälde von 1847 auf, dass hier offensichtlich Landschaft und Maschine im Vordergrund der Betrachtung stehen, Menschen überhaupt nicht zu sehen sind und der Mensch damit vollkommen in den Hintergrund zu treten scheint. In Kenntnis der späteren Werke Menzels zum Themenkreis wird man allerdings das Gemälde kaum als Zeugen dafür anführen können, dass er dem »Siegeszug« der Eisenbahn kritisch gegenüberstand und die Maschine den Menschen voranstellte. Im Hinblick darauf, dass Menzel in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts mehrfach Landschaften am Rande Berlins malte, wie zum Beispiel »Am Kreuzberg bei Berlin«, ebenfalls von 1847, oder »Wilmersdorf bei Berlin« von 1853, ist anzunehmen, dass es ihm in dieser Schaffensperiode zunächst darum ging, Stimmungen außerhalb der städtischen Hektik einzufangen und festzuhalten. Hierauf weist auch die Studie zum Gemälde »Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn« hin, die Menzel schon um 1845 angefertigt hatte und die im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin aufbewahrt wird. Die Situation, die im Bereich der heutigen Großgörschenstaße lokalisiert wird, erfasst Menzel in seiner Studie schon von beinahe genau derselben Perspektive aus. Die Grundelemente der Komposition des Gemäldes sind festgelegt, allerdings fehlen mit Lokomotive, Waggons und Rauchschwaden noch die entscheidenden Motive, die, dem Blick des Betrachters schon fast wieder enteilt, dem Ölgemälde dann die Dynamik verleihen sollten, die der Studie noch fehlt. Die perfekt scheinende idyllische Anmutung, die Menzel bei den beiden anderen genannten Bildern auch durch das Hinzufügen fiktiver gestalterischer Elemente zu den realen landschaftlichen Vorbildern erreicht, wird beim »Eisenbahn-Gemälde« durch das Hinzufügen technischer Bauten und Geräte absichtlich durchbrochen und auch im Titel des Gemäldes manifestiert. Die städtische Hektik erreicht das Land.
Als Adolph von Menzel wahrscheinlich ebenfalls 1847 zum ersten Mal die Eisenbahn selbst nutzte, war dieses Verkehrsmittel in Deutschland schon seit zwölf Jahren in Betrieb und noch immer eine öffentliche Attraktion ersten Ranges. 1835 war die erste Strecke zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet worden, der im April 1837 das erste Teilstück der Fernbahn Leipzig–Dresden folgte, bevor am 12. September 1838 das elf Kilometer lange Teilstück der Strecke Berlin-Potsdam zwischen Zehlendorf und Potsdam den Betrieb aufnahm. Gut einen Monat später, am 29. Oktober 1838 folgte mit der zwölf Kilometer langen Strecke von Zehlendorf nach Berlin die durchgehende Verbindung der beiden Städte. Die Kosten, die der private Betreiber aufzubringen hatte, beliefen sich für Bau und Fahrzeugpark auf wenig mehr als eine Million Taler. Die einfache Fahrt dauerte ca. 40 Minuten. Der Potsdamer Bahnhof in Berlin wurde außerhalb der Akzisemauer vor dem Potsdamer Tor nahe dem heutigen Potsdamer Platz errichtet. Der Bahnhof in Potsdam lag auf dem Gelände des heutigen Hauptbahnhofs südlich der Havel ebenfalls außerhalb der Stadt. Der Standort des Bahnhofs war so gewählt worden, dass trotz der für den Gleisbau widrigen Geländeverhältnisse eine möglichst (kosten-)günstige Weiterführung der Strecke in Richtung der Hauptstadt der Provinz Sachsen, Magdeburg, möglich war. Als Menzel 1847 sein Gemälde ausführte, war die Berlin-Potsdamer Eisenbahn schon in der 1846 fertig gestellten Fernverbindung Berlin–Magdeburg aufgegangen. Neben Zehlendorf wurden auf der sogenannten Stammbahn im Jahre 1839 zwei weitere Haltepunkte mit Bahnhofsgebäuden in Schöneberg und in Steglitz eingerichtet.
Die Planungen für eine Verbindung auf Schienen zwischen Berlin und Potsdam begannen auf privater Initiative im Jahre 1833, sollten aber erst mit der Gründung der ebenfalls privaten Berlin-Potsdamer Eisenbahn-Gesellschaft als Aktiengesellschaft erfolgreich werden. Am 23. August 1837 wurde das Gesellschaftsstatut angenommen und am 23. September 1837 erfolgte die staatliche Konzessionierung. Staatliche Reglementierung wurde dann im Preußischen Eisenbahngesetz vom 3. November 1838 festgelegt. Die Haltung der Preußischen Staatsverwaltung gegenüber dem neuen Verkehrsmittel ist als ambivalent zu bezeichnen. Problematisch wäre sicher die zurückhaltende Einstellung König Friedrich-Wilhelms III. gewesen, der, so die Legende, keinen Nutzen darin erkennen wollte, schneller von Berlin nach Potsdam kommen zu können. Hier hätte der König, der schon ca. eineinhalb Jahre nach der Eröffnung der Bahnstrecke starb, die ökonomische Bedeutung der Eisenbahn mit der zügigeren Verbindung von örtlichen, regionalen und überregionalen Handelsplätzen und der Schaffung neuer Märkte sowie als Motor für die Industrialisierung verkannt. Auch die militärstrategische Komponente mit der Möglichkeit, Truppen und Material schnell verlegen zu können, lag zwar auf der Hand, blieb jedoch wenigstens zu Beginn der Diskussionen nachrangig, obwohl der König schon im Januar 1836 auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht hatte, bei den Planungen militärische Gesichtspunkte mit einzubeziehen. Somit kann das Eisenbahngesetz von 1838, mit dem die private Initiative im Grundsatz gefördert wurde und das nur zurückhaltende staatliche Lenkung festschrieb, einerseits als Ausdruck einer wirtschaftspolitischen Ausrichtung des Staates betrachtet werden, wie andererseits als Ausdruck einer zunächst abwartenden Haltung, die Preußen die Möglichkeit eröffnete, die Aktiengesellschaften nach Ablauf von 30 Jahren zu erwerben. Zunächst konnten sich weder Befürworter noch Gegner eindeutig durchsetzen und der Weg zur Staatsbahn war keineswegs klar vorgezeichnet.
Zu Beginn der Diskussionen um den Bau der Verbindung war nicht einmal geklärt, ob die Strecke als Pferdebahn oder als Eisenbahn aufgebaut werden sollte. Neben vielerlei Erwägungen, welche Folgen der »Rausch der Geschwindigkeit« haben könne, spielte im Vorfeld der Entscheidung auch die in Deutschland noch nicht ausgereifte Technik des Lokomotivbaus eine Rolle. Sicher war eben nur, dass man sich das lange bekannte physikalische Phänomen zu Nutze machen wollte, dass Gewichte leichter, schneller und damit kostengünstiger in Wagen mit Rädern auf Schienen zu transportieren waren, als wenn diese Wagen Straßen und Wege befahren mussten. Die Entscheidung für die mit Hilfe von Wasserdampfüberdruck angetriebene Lokomotive wurde durch den Einsatz eines englischen Produkts der Familie Stephenson in Nürnberg/Fürth befördert. Ein weiteres Argument war, dass mit der Kraft einer Lokomotive mehr Gewicht zu bewegen war, als mit Pferde-Stärken. Mit der Entscheidung, bei der Stammbahn ebenfalls eine Stephenson-Lokomotive zum Einsatz zu bringen, war die Wahl auf ein technisch hochstehendes Produkt gefallen, für das es zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland keine gleichwertige Alternative gab. Die lokale Berliner Dampfwagenentwicklung und -produktion, besonders durch die Maschinenbauanstalt von Friedrich Anton Egells und wenig später durch August Borsig, steckte zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Stammbahn noch in den Kinderschuhen.
Die Wahl der Stephenson-Lokomotive sollte sich in mehrerlei Hinsicht als richtungweisend herausstellen. Zu Beginn des Eisenbahnzeitalters waren die Spurweiten noch nicht normiert. Die von Stephenson gewählte Weite von vier Fuß und 8,5 Zoll oder 1435 Millimetern war zusammen mit der Verwendung von Radreifen und Radkränzen sowie abgeschrägten Laufprofilen für Lokomotiven und Waggons die optimale technische Lösung. Dachte man wie Friedrich List, der schon 1833 einen Entwurf für ein deutsches Eisenbahnnetz vorgelegt hatte, die Entwicklung der Eisenbahn unter ökonomischen und nationalpolitischen Gesichtspunkten an, war eine normierte Technik nicht nur wichtig und Kosten senkend, sondern auch zwingend notwendig. Die Spurweite von 1435 Millimetern entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts als »Normalspur« zu einem Standard, der schon 1846 in Großbritannien gesetzlich vorgeschrieben wurde und der auch mit der »Technischen Einheit im Eisenbahnwesen«, die im Deutschen Reich zum 1. April 1887 in Kraft gesetzt wurde, in den meisten west- und mitteleuropäischen Staaten als Norm für den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr festgelegt worden war.
Von Beginn an war der Fuhrpark auf der Stammbahn auf den gleichzeitigen Transport von Menschen und Gütern ausgelegt. Personen, die die stark frequentierte Bahn gleichsam für dienstliche und private (Ausflugs-)Zwecke nutzten, konnten zwischen drei Klassen wählen, sie konnten ebenfalls ihre Kutschen – wenn vorhanden – auf offene Waggons verladen lassen und so bequem für die anschließende Weiterfahrt zu ihrem eigentlichen Ziel mitnehmen. Offene Waggons dienten ebenfalls der Beförderung von Post und von Handelswaren. Vieh wurde in geschlossenen Waggons transportiert.
Neben dem Gleis-, Lokomotiv- und Waggonbau mussten in Deutschland für den Bahnverkehr weitere Kompetenzen u. a. in den Bereichen der Signal- und Sicherungstechnik, der Fernmeldeeinrichtungen sowie Bremstechnik und später (Stark-)Stromversorgung entwickelt werden. Insofern wurde die Eisenbahn zu einem »Motor« für die Industrialisierung, indem technische Entwicklungen in den genannten Bereichen sowie Produktions-, Zuliefer- und Reparaturwerkstätten flächendeckend aufgebaut werden mussten. Neben Ingenieursleistungen mussten auch Arbeitsplätze geschaffen und Arbeitsprozesse stetig an steigende Anforderungen in Verbindung mit technischen Weiterentwicklungen angepasst werden.
Adolph von Menzel hat die sozialen Folgen dieser Entwicklung erkannt und in seinem späteren Werk thematisiert. In seinem Ölgemälde »Die Berlin-Potsdamer Bahn« ist davon noch nichts zu erkennen. Hier standen eher unkritische Betrachtungen zur »Beschleunigung der Welt« und zur Verschmelzung der Unterschiede zwischen Stadt und Land im Vordergrund.
Schon vor Ende des 19. Jahrhunderts war das deutsche Eisenbahnnetz mit seinen Hauptstrecken im Wesentlichen fertig gestellt. Neben der stetigen technischen Modernisierung erfolgte nur noch der mehrgleisige Ausbau der Strecken sowie der Neu- und Umbau der Nutzbauten für Technik und Passagiere. Weitergeführt wurde der Ausbau der Nebenbahnen, der aber zum Teil anderen technischen und rechtlichen Vorgaben folgte, als der Bau der Hauptbahnen. Die beiden Weltkriege, wirtschaftliche Rezessionsphasen und die deutsche Teilung verhinderten in Verbindung mit der Entwicklung des Autos und dem Ausbau des Straßennetzes eine grundlegende Weiterentwicklung des Bahnverkehrs. Erst die Einführung des modernen Hochgeschwindigkeitsverkehrs bei der Bahn und die deutsche Einigung sowie das Ende der Nachkriegsordnung in Europa beförderten den Streckenneubau und die Neulenkung der Verkehrsströme, die für regionale Anbindungen auch manche unerfreuliche Veränderungen mit sich brachte. Die Trennung von Bahnkörper und Verkehr auf europäischer Ebene und die Tendenzen zur Privatisierung müssen erst noch im vollen Umfang greifen, um in der Folge abschätzen zu können, welche Zukunft »die Bahn« hat.
Die Stammbahn ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterbrochen und wurde auch nach der Wiedervereinigung Deutschlands bisher in voller Länge nicht wieder in Betrieb genommen. Die »Bürgerinitiative Stammbahn« wirbt vehement für die durchgängige Nutzung der Strecke als entlastende Alternative für den südwestlichen Berliner Raum und die angrenzenden Städte und Gemeinden im Umland und auch der Senat von Berlin prüft vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums und des prognostizierten Verkehrswachstums den Wiederaufbau der Bahn.
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Quellen & Literatur
Quelle
Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen, Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1838, Berlin o. D., S. 505–516.
Literatur
Peter Bley, 175 Jahre Eisenbahn Berlin-Potsdam. 175 Jahre Eisenbahn in Preußen, Berlin 2013.
Laurenz Demps, Der Schlesische Bahnhof in Berlin, Berlin 1991.
Frida-Marie Grigull/Hein-Th. Schulze Altcappenberg, Blinde Blicke. Sehen und Nicht-Sehen bei Adolph Menzel, hrsg. vom Kunsthistorischen Seminar der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin, Hannover 2015.
www.stammbahn.de (letzter Abruf am 2. Januar 2016).
Stiftung Stadtmuseum (Hrsg.), Ich. Menzel. Zum 200. Geburtstag, Berlin 2015.
Empfohlene Zitierweise
Uwe Schaper, Adolph von Menzel, die Berlin-Potsdamer Eisenbahn, in: 100 Schlüsselquellen zur Geschichte von Berlin, Brandenburg und Preußen, URL: www.hiko-berlin.de/Menzel-1847 (zuletzt abgerufen TT.MM.JJJJ). Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Textes die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.