Ein Schlagring von 1931
Zusammenfassung
Diesen Schlagring nahmen Polizeibeamte bei politischen Krawallen am 12. September 1931 einem Berliner SA-Mann ab. Die Waffe ist ein Gegenstand aus der Praxis der gewaltsamen »Straßenpolitik«, mit der die Kampfformationen insbesondere der NSDAP und der KPD seit 1930 Berlin überzogen. Die fast täglichen Gewaltakte nahmen weite Teile der Bevölkerung als »latenten Bürgerkrieg« wahr. Die Gewalt brachte Aufmerksamkeit und Propagandaerfolge für die Nationalsozialisten, offenbarte zugleich aber auch die begrenzten Handlungsoptionen der Kommunisten und lähmte die demokratischen Kräfte. Dies destabilisierte sowohl die Stadtgesellschaft als auch die Republik und ebnete den Weg für die Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Kontextualisierung
Ein Schlagring von 1931
Jörg Pache
Am Abend des 12. September 1931 zogen hunderte von Männern der nationalsozialistischen »Sturmabteilung« (SA) in Gruppen durch die belebten Berliner Straßen rund um den Kurfürstendamm. Sie riefen sozialpolitisch klingende Parolen wie »Hunger! Wir wollen arbeiten«. Wie sich jedoch rasch zeigte, hatten die Zusammenrottungen einen anderen Anlass – das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana. Ziel waren die aus den Synagogen heimkehrenden jüdischen Berlinerinnen und Berliner. »Juda verrecke! Deutschland erwache!« war bald die Parole, immer wieder fielen Gruppen von SA-Leuten über vermeintlich jüdisch aussehende Menschen her, beleidigten sie, schlugen sie nieder und traten teils noch auf die am Boden Liegenden ein. Die Randalierer demolierten das Café eines jüdischen Betreibers und feuerten dabei Schüsse ab. Binnen kurzem schlossen die Geschäfte und Lokale der Gegend. Obwohl sie die Zusammenrottungen von Anfang an beobachtet hatte, brauchte die Polizei Stunden, um die SA-Gruppen zu zerstreuen und zumindest den Anschein von Sicherheit im westlichen Zentrum herzustellen. Die Zahl der Verprügelten und Verletzten blieb unklar. Die Polizei nahm 50 Personen in Gewahrsam, 22 davon blieben in Untersuchungshaft.
Einer der Festgenommenen war ein 21-Jähriger, der dem berüchtigten »Mördersturm« 33 der Charlottenburger SA angehörte. Der junge Mann war in einer aggressiv auftretenden Gruppe junger Männer, die das »Horst-Wessel-Lied« pfiffen, mit den Händen in den Hosentaschen auf eine Polizeikette nahe der Gedächtniskirche zumarschiert. Bei seiner Festnahme fanden die Polizisten in einer seiner Taschen den abgebildeten Schlagring. Ob dieser Schlagring an jenem Tag zum Einsatz gekommen war, konnte die Ermittlung nicht klären. Zeugenaussagen zufolge hatten SA-Männer Passanten auch mit Schlagringen traktiert.
Bei seiner Vernehmung erklärte der SA-Mann, ein arbeitsloser kaufmännischer Angestellter, er sei auf Aufforderung seines Sturmführers, aber ohne Handlungsanweisung zum Kurfürstendamm gekommen und habe sich dort nur umgesehen. Zu grölenden und Nazi-Lieder pfeifenden Gruppen habe er Abstand gehalten. Den Schlagring trage er immer bei sich, falls ich in den Abendstunden von Andersdenkenden angefallen[1] werde. Dass das Mitführen einer solchen Waffe verboten sei, habe er nicht gewusst.
Nach Einschätzung der republikanischen Presse wie auch der Staatsanwaltschaft waren die Ausschreitungen zentral organisiert. Letztlich entschied die Justiz nach einem aufwändigen ersten Prozess im Berufungsverfahren jedoch anders – auch auf Druck aus der Reichsregierung, die den Nationalsozialisten aus taktischen Gründen entgegenkommen wollte. Der mitangeklagte Berliner SA-Chef Wolf-Heinrich Graf von Helldorf und weitere Berliner SA-Führer – Helldorf war mit seinem Adjutanten in einem Auto »zufällig« am Kurfürstendamm patrouilliert – mussten letztendlich nur eine Strafe wegen Beleidigung bezahlen. Einige einfache SA-Männer gingen wegen Landfriedensbruchs für einige Monate ins Gefängnis, unter ihnen auch der Besitzer des Schlagrings. Er war zunächst zu einem Jahr und fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden, erhielt im Berufungsprozess aber nur noch sechs Monate Haft wegen Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Als politisches Delikt wurden die Ausschreitungen im Berufungsverfahren nicht gewertet – das erste Urteil hatte die Krawalle noch als »Aufreizung zum Klassenhass« eingestuft, was damals auch antisemitische Hetze umfasste.
Der Krawall war nur eine von mindestens 1.300 politischen Gewalttätigkeiten des Jahres 1931 in Berlin. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 war die Gewalt geradezu explodiert: In den Jahren bis 1929 hatte die Zahl der politisch motivierten Übergriffe noch im niedrigen dreistelligen Bereich gelegen, aber bereits 1930 sprang sie auf über 1.000. Und auch nach 1931 sollte die Anzahl weiter stark ansteigen: 1932 registrierte die Polizei über 3.000 solcher Fälle.
Die Zahl der sichergestellten Waffen verdeutlicht diese Entwicklung. Noch 1929 waren in ganz Preußen knapp 450 Waffen beschlagnahmt worden, 1930 allein in Berlin bereits fast 400, 1931 dann mehr als 600 und 1932 bereits über 800. Noch 1930 war lediglich ein Viertel davon Schusswaffen, in den Folgejahren jedoch jeweils etwa die Hälfte – »stumpfe« Waffen wie der gezeigte Schlagring machten nur einen kleinen Teil des Arsenals aus. Die wachsende Bewaffnung hatte Folgen. Bei politischen Gewaltaktionen starben 1931 mindestens 18 Menschen auf Berliner Straßen, 1932 verloren knapp 30 ihr Leben. In den drei Monaten, bis die Weimarer Republik mit dem »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März 1933 endgültig unterging, wurden in der Hauptstadt über 40 Menschen getötet.
Die Gewaltaktion war also nur eine von vielen im Jahr 1931. Eine Besonderheit für die letzten Jahre der Republik war der Krawall aber als koordinierte antisemitische Ausschreitung. Gewalt gegen Juden zeigte sich neben der Propaganda häufiger in individuellen Beleidigungen, Drohungen und Rempeleien – und zeitigte deshalb geringen behördlichen Verfolgungswillen.
Typisch für das Vorgehen der SA waren die beschriebenen Prügelattacken am Kurfürstendamm in mehrfacher Hinsicht. Die Organisation führte die Gewaltsituation bewusst herbei, dann schlugen die Männer skrupellos zu. Im Nachhinein verleugneten sie ihre Aggression und inszenierten sich als Opfer des »Systems«. Hier sei legitimer Protest kriminalisiert worden, die SA-Führer hätten die Situation beruhigen wollen; die Verteidigung erfand gar kommunistische Provokateure, die die Gewalttaten begangen hätten.
Die zugrundeliegende Gewaltstrategie der Nationalsozialisten und mit ihr der Anstieg der politischen Gewalt von rechts trafen Berlin aber bereits seit 1927. Mit der neugegründeten SA als ihrer Straßenkampforganisation, damals noch kaum 1.000 Mann stark, trat die zunächst wenig bedeutende Splitterpartei NSDAP unter dem neuen Gauleiter Joseph Goebbels im Frühjahr 1927 eine Serie von Provokationen und Gewalttaten los, die sie in alle Zeitungen und ins öffentliche Bewusstsein katapultierte. Die SA marschierte provokant durch sozialistisch und kommunistisch geprägte Arbeiterbezirke und inszenierte im Februar des Jahres eine brutale Saalschlacht im kommunistischen Schwerpunktbezirk Wedding. Am 21. März griff die Berliner SA ein gutes Dutzend Angehörige einer Musikkapelle des kommunistischen Roten Frontkämpferbundes (RFB) am Bahnhof Lichterfelde-Ost an. Nach Provokationen der SA-Übermacht ging ein Hagel von fast 300 Steinen auf die von den Kommunisten besetzten Zugabteile nieder. SA-Männer rammten Fahnenstangen durch die Fenster und schlugen mit Gummiknüppeln, Spaten und Schlagringen auf die Kommunisten und andere mutmaßliche »Marxisten« im Zug ein. Dann fielen Schüsse – laut Ermittlungsergebnis ausschließlich von SA-Seite. Die Polizei fand im schwer demolierten Waggon der RFB-Männer neben den Steinen etliche Einschüsse. Zwischen den Scherben der von außen eingeschlagenen Scheiben bedeckten Pfützen von Blut den Boden, dazwischen lagen zerfetzte Kleidungsstücke und demolierte Musikinstrumente. Insgesamt verzeichneten die Behörden 18 Schwerverletzte – allesamt Kommunisten. Die Berliner Polizei zeigte sich völlig überfordert; sie ließ die SA-Männer durch den Berliner Westen zum Wittenbergplatz ziehen. In einem Auto begleitete Gauleiter Goebbels den Mob, der unterwegs Passanten beschimpfte und verprügelte, von denen die SA-Männer annahmen, sie seien Juden.
Die Ausübung von Gewalt blieb eines der wichtigsten politischen Mittel der Berliner NSDAP, um ihre Relevanz zu beweisen, Aufmerksamkeit zu erzeugen und so Zustimmung und Wähler zu gewinnen. Ihr Erfolg zeigte sich rasch in erheblichen Mitgliederzuwächsen. Bereits 1930 war die SA die einzige Gruppe der Rechten, die auf den Straßen der Hauptstadt eine aktive Rolle spielte.
Auch weiterhin agierte die SA mit Propaganda, Provokationen und mit körperlichen Angriffen auf ihre unterschiedlichen Gegner: Kommunisten, Sozialdemokraten, vermeintliche Juden und sogar ihre politischen Konkurrenten auf der Rechten. Zur Demonstration ihrer Stärke setzte sie auf symbolische wie auf tatsächliche Gewalt. Drohende Aufmärsche, Einschüchterung und Prügel waren bevorzugte Mittel. So gelang es der SA, mit ihren Symbolen, Fahnen und Uniformen den öffentlichen Raum zu besetzen. Sie wollte die bis dahin bestehende Vorherrschaft der Parteien der Arbeiterbewegung auf den Straßen Berlins brechen und sich damit als junge, aggressive Bewegung der Zukunft in Szene setzen. Bei allem revolutionären Gehabe vermied die SA direkte Auseinandersetzungen mit der Polizei, um formal dem vom Parteiführer der NSDAP Adolf Hitler verkündeten legalen Kurs gegenüber der Staatsmacht zu folgen.
Die Kommunisten hingegen mobilisierten trotz der Verbote ihre Anhänger weiter zu spontanen Aufzügen. Diese knüpften meist an soziale Themen wie Hunger, Arbeitslosigkeit und zu hohe Mieten an, missachteten nun aber die behördlichen Verbote und traten oft mit revolutionärem Gestus und großer Radikalität auf. Auf Aktionen wie die Besetzungen von Wohlfahrts- und Arbeitsämtern und illegale Demonstrationen, an denen sich im Gegensatz zu NS-Aufmärschen auch Frauen aktiv beteiligten, folgten zwangsläufig Konfrontationen mit der Polizei. In einer einzigartigen Revancheaktion für von Polizisten erschossene Anhänger verübte außerdem eine »Spezialeinheit« der KPD 1931 in Berlin vier Morde an Polizisten. Bis zum 31. Januar 1933 sollten dies die letzten Todesopfer unter den Berliner Polizisten bleiben.
Anfang 1931 verstärkten NSDAP und SA ihre Strategie, immer dort provokatorisch Präsenz zu zeigen, wo sie bislang wenig Zustimmung hatten, denn Wahlerfolge waren in Berlin ohne Zuwachs an Stimmen der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht zu erringen. Wenn auch die Berliner SA insgesamt sehr heterogen und keine »Arbeiterorganisation« war, so zeigte sie doch erkennbar proletarische Züge. In manchen Stadtgebieten verzeichnete sie Arbeiteranteile bis zu 54 Prozent. Die Kampforganisationen der KPD hingegen bestanden praktisch ausschließlich aus Arbeitern. Die Anhängerschaften beider Kampfbünde waren sehr jung, und Arbeitslosigkeit und Abstiegserfahrungen hatten offenbar viele ihrer Lebenswege geprägt. Arbeitslose stellten den größten Teil der Straßenkämpfer. Aber nicht allein die konkreten Nöte der Erwerbslosigkeit, auch bereits die Furcht vor dem sozialen Abstieg bei den Beschäftigten und die fehlende Aussicht auf Arbeitschancen in der Wirtschaftskrise förderten die Verunsicherung in der Gesellschaft. Zudem hatte der Wirtschaftseinbruch von 1929 eine politische Krise eingeleitet. Infolge der Streitigkeiten um die notwendigen Sozialmaßnahmen regierte seit Frühjahr 1930 das vom Reichspräsidenten ernannte Präsidialkabinett unter Heinrich Brüning ohne Parlamentsmehrheit und kürzte die Sozialleistungen zugunsten einer radikalen Sparpolitik. Diese Entwicklungen förderten Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten der parlamentarischen Politik. Feindselige Haltungen zwischen den Parteien heizten das politische Klima auf. In der krisenhaften Lage trafen vage Sehnsüchte vieler Menschen nach einfachen und radikalen Lösungen verstärkt auf die Sinn-, Gemeinschafts- und Betätigungsangebote der Kampfbünde. Diesen Bünden bot sich in Berlin mit über 500.000 Menschen ohne Arbeit und besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit nun ein hohes Rekrutierungspotential für ihren Aktivismus und ihre radikalen Perspektivangebote. Insofern warben Kommunisten und Nationalsozialisten insbesondere in den proletarisch geprägten Quartieren um eine ähnliche Zielgruppe.
Dazu errichtete die SA in den Arbeiterbezirken Sturmlokale – oft als SA-»Heime«, ausgestattet mit Kneipe, Suppenküche und Schlafplätzen für die SA-Männer, die so wie in Kasernen im »Feindgebiet« lebten. Hier entstand ein spezielles Milieu, in dem enges Zusammenleben, gegenseitige Abhängigkeit, feindliches Umfeld und gemeinsames Gewalterlebnis einen besonderen Zusammenhalt schufen. Diese Gewaltgemeinschaften bestätigten Selbstwert, Selbstbild und Männlichkeitsideal der SA-Straßenkämpfer. Den meist arbeitslosen jungen Männern beider Kampforganisationen boten die radikalen Milieus – die oft Überschneidungen zu rauen jugendlichen Cliquen-Subkulturen bis hin zur gewöhnlichen Kriminalität aufwiesen – gerade in den gemeinsamen Gewaltaktionen besondere Möglichkeiten der Selbstermächtigung jenseits der Grenzen konventioneller Regeln. Dass dabei fundierte politische Überzeugungen zuweilen eine untergeordnete Rolle spielten, legen nicht zuletzt Übertritte zur gegnerischen Partei nahe.
Für die kommunistische Basis war das Eindringen der SA in die Arbeiterbezirke die zentrale Herausforderung. Sozialer und wirtschaftlicher Druck gegen SA-Stützpunkte blieb wenig wirksam. Folglich wählten die Aktivisten immer häufiger die direkte Gewalt. So verlagerte sich das Gewaltgeschehen auf weniger kontrollierbare Orte und Zeiten. Saalschlachten und Gewalt bei Aufmärschen verloren wegen der Verbote an Bedeutung, jetzt dominierten Überfälle auf politische Gegner in kleinen Gruppen, Angriffe auf Parteilokale und Zusammenstöße bei nächtlichen Propagandaaktionen. Die meisten gewaltsamen Auseinandersetzungen fanden folglich zwischen den männlichen »Parteisoldaten« der NSDAP und der KPD statt. Dabei scheuten etliche der Straßenkämpfer auch vor tödlicher Gewalt nicht zurück. Bei Überfällen auf gegnerische Lokale schossen die Täter oft wild in die Kneipen hinein. Mindestens 86 Angriffe mit Schusswaffeneinsatz lassen sich allein für 1932 nachweisen.
Die Berliner Polizei hatte den jetzt schwer vorhersehbaren Gewaltausbrüchen wenig entgegenzusetzen. Streifen und Überfallkommandos kamen oft zu spät, um Gewalttaten zu verhindern oder Täter zu verhaften. Dennoch war die Zahl der Festnahmen hoch, an ereignisreichen Tagen stiegen sie in die Hunderte. Fortlaufende Gesetzesverschärfungen zeigten wenig Wirkung – die Parteien setzten immer wieder Amnestien für Straftäter durch, auch im Interesse ihrer gewalttätigen Anhänger. Allein um die Jahreswende 1932/33 kamen so über 10.000 politische Täter in Preußen frei.
Die rechtsautoritäre Präsidialregierung unter Reichskanzler Franz von Papen tat ein Übriges, um die justizielle und polizeiliche Eindämmung der politischen Gewalt zu erschweren. Ein seit Juni 1930 bestehendes Uniformverbot in Preußen gegen die SA, vor allem aber das im April 1932 ergangene Verbot der SA und SS (»Schutzstaffel« der NSDAP), das die Gewalt in Berlin erheblich reduziert hatte, hob Papen im Juni 1932 ersatzlos auf. Vergleichbare Verbote gegen kommunistische Formationen blieben hingegen bestehen. Eine gewisse Beharrlichkeit war also allenfalls in der Bekämpfung der kommunistischen Straßenkämpfer zu erkennen. Sie wurden von den Gerichten deutlich öfter und härter verurteilt.
Dabei war die politische Gewalt aber kein isoliertes Phänomen, bei dem sich die Radikalen gegenseitig die Köpfe einschlugen. Auch Angehörige des SPD-nahen und wenig aggressiven »Reichsbanners« waren ein beliebtes Angriffsziel nationalsozialistischer Schläger. Außerdem trafen brutale Angriffe von NS-Gewalttätern auch nichtorganisierte Berlinerinnen und Berliner, wenn sie den Schlägern als Anhänger der Republik erschienen. Jüdische Berliner und Personen, die die SA-Männer für solche hielten, waren nicht selten Ziel rechter Gewalttaten.
Und die Gewalt war überall. Gerade auch in eher bürgerlichen Randbezirken, in denen die NSDAP stark war, zeigte die SA eine hohe Aggressivität und beging häufiger Übergriffe als die Kommunisten. Die Gewalt fand also nicht nur unter Proletariern in deren »Problembezirken« statt, sondern überall in Berlin, auch in den ruhigeren Gegenden weitab der Zentren und unter den Augen der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Bevölkerung. An den Hochschulen prügelten nationalsozialistische Studenten, und selbst in den Parlamenten schlugen gewählte Abgeordnete, meistens Nationalsozialisten, zuweilen zu. Im Preußischen Landtag verursachten Drohungen und Beleidigungen zwischen KPD und NSDAP 1932 eine regelrechte Saalschlacht.
Ergebnis der fast allgegenwärtigen Gewalt waren weitverbreitete Unsicherheit, Umsturzängste und schwindendes Vertrauen in die Regelbarkeit der politischen Verhältnisse innerhalb des demokratischen Systems. SPD und bürgerliche Demokraten blieben auch auf den Straßen in der Defensive. Während die republikanischen Parteien bei den Wahlen Verluste hinnehmen mussten, verzeichnete die KPD mit ihrem radikalen und gewalttätigen Auftreten Stimmenzuwächse. Die NSDAP gewann auch dank ihrer gewaltorientierten »Straßenpolitik« bis Sommer 1932 deutlich an Zustimmung bei den Berliner Wählerinnen und Wählern. Als radikale Opposition konnte die KPD ihre Stimmenzuwächse mangels Koalitionspartnern nicht in politische Handlungsfähigkeit in den Parlamenten ummünzen. Dies galt zunächst auch für die NSDAP. Allerdings kam die Reichsregierung ihr immer wieder politisch entgegen. Im Juli 1932 diente die politische Gewalt Reichskanzler Papen als Aufhänger, die SPD-geführte preußische Regierung abzusetzen – und schließlich koalierte die antidemokratische Rechte offen mit der NSDAP und machte Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Dessen SA verfügte über Gewalterfahrung und -infrastruktur, von der Informationssammlung über politische Gegner bis zu den zu Folterkellern umfunktionierten Räumen der SA-Heime und das entsprechende Personal. Dies sollte ihren Gegnern in Berlin nach dem 30. Januar hunderte Opfer kosten.
[1] Aussage des Beschuldigten, Vernehmungsprotokoll v. 13.9.1931, Landesarchiv Berlin, Rep. 358-02, Nr. 97, o. Pag.
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Quellen & Literatur
Archivquellen
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, HA I, Rep. 77, Tit. 4043, Nr. 120–122.
Landesarchiv Berlin, Rep 358–02, Nr. 97; Nr. 302.
Literatur
Sven Reichardt, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002.
Ders., »Vor allem sehne ich mich nach Euch, Kameraden«. Mikrohistorische Analyse eines Berliner SA-Sturms, in: Stefan Vogt (Hrsg.), Ideengeschichte als politische Aufklärung, 2010, S. 154–181.
Reiner Zilkenat, Der »Kurfürstendamm-Krawall« am 12. September 1931. Vorgeschichte, Ablauf und Folgen einer antisemitischen Gewaltaktion, in: Ders./Yves Müller (Hrsg.), Bürgerkriegsarmee. Forschungen zur nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA), Frankfurt a. M. u. a. 2013, S. 45–62.
Eve Rosenhaft, Beating the Fascists? The German Communists and Political Violence 1929–1933, Cambridge u. a. 1983.
Dirk Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918–1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001.
Empfohlene Zitierweise
Jörg Pache, Ein Schlagring von 1931, in: 100 Schlüsselquellen zur Geschichte von Berlin, Brandenburg und Preußen, URL: www.hiko-berlin.de/Schlagring-1931 (zuletzt abgerufen TT.MM.JJJJ). Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Textes die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.