Der Berliner Unwille
Zusammenfassung
Die Dynastie der Hohenzollern, die 1415 mit der Markgrafschaft und dem Kurfürstentum Brandenburg vom Kaiser belehnt wurde, verfolgte spätestens seit dem Herrschaftsantritt von Friedrich II. (1437/40) die Zielsetzung, in Berlin-Cölln ihre Residenz und zugleich ihr Herrschaftszentrum zu errichten. Die Bürger der eng mit der Hanse verbundenen Stadt, die auf lange Erfahrungen der politischen Partnerschaft mit wechselnden Landesherren und wirtschaftlicher Selbstständigkeit zurückblicken konnten, waren nicht gewillt, derartige Umgestaltungen zu akzeptieren. Unter Ausnutzung von innerstädtischen Spannungen zwischen Ratsgeschlechtern und Viergewerken, den vier einflussreichsten Zünften der Stadt, gelang es dem neuen Landesherrn, gegen den heftigen Widerstand der Stadt in zwei Anläufen 1442 und 1448 schließlich seine Pläne durchzusetzen. Die Residenz, damit zugleich das erste Schloss, wurde in den Jahren 1443 bis 1451 erbaut, die Ratsbesetzung der markgräflichen Kontrolle unterworfen, die wichtigsten Hoheitsrechte der Stadt aberkannt und die politische Handlungsfähigkeit der Bürger nach außen beschnitten.
Damit gehörten die Hohenzollern zu den ersten Territorialfürsten, die den Wandel der Kommune als weitgehend autonome Bürgerstadt des Spätmittelalters zu den der fürstlichen Kontrolle unterworfenen Städten in der Frühen Neuzeit einleiteten. Natürlich kann darin sowohl die Voraussetzung für den sehr viel späteren Aufstieg zur Hauptstadt in einem endlich vereinigten Nationalstaat wie auch als nur mit großem »Unwillen« erlittenen Verlust der Bürgerfreiheit mit negativen Nachwirkungen gesehen werden, wie es besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert je nach politischem Standort auch geschehen ist.
Kontextualisierung
Der Berliner Unwille
Knut Schulz
Verlauf der Unruhen und Zusammenhänge
Die gegen 1200 gegründete und 1237/41 erstmals urkundlich erwähnte Doppelstadt Berlin-Cölln an der Spree erfuhr durch die Ausstattung mit ansehnlichem Landbesitz und durch die Verleihung vorteilhafter Privilegien seitens der askanischen Markgrafen einen raschen Aufstieg. Dazu trugen auch die guten Verkehrsverbindungen über die Spree, Havel und Elbe nach Hamburg zur Nordsee sowie gen Osten auf einem kürzeren Landweg dann über die Oder nach Szczecin (Stettin) zur Ostsee und somit in den Hanseraum bei. Auf dieser Grundlage erlangte Berlin-Cölln im Laufe des 14. Jahrhunderts als prosperierende Bürger- und Handelsstadt in der Mittelmark auch politisch eine Vorrangstellung. Deshalb zeigten die neuen Dynastengeschlechter, die den Askaniern nach 1320 folgten, nämlich die bayerischen Wittelsbacher von 1323 bis 1373 und dann, u. a. mit Kaiser Karl IV., die Luxemburger von 1373 bis 1411, ein Interesse an dieser zentral gelegenen und gut vernetzten Stadt von 6.000 bis 7.000 Einwohnern. In diesen militärisch turbulenten und wirtschaftlich krisenhaften 100 Jahren nahmen die brandenburgischen Städte – mehrfach mit Berlin-Cölln an der Spitze – eine für die Markgrafschaft stabilisierende Funktion wahr und ergriffen selbstständig Initiativen, wie es einige Städtebünde zeigten.
Mit den Hohenzollern, die bereits 1411 vom Kaiser zu »Verwesern« der Markgrafschaft Brandenburg ernannt worden waren, kehrte bis 1414 nach einigen militärischen Erfolgen im Land zunehmend wieder Stabilität ein, anfangs durchaus auf der Grundlage einer Kooperation der Markgrafen mit den Städten, wenn auch nur vorübergehend. Als nämlich spürbar wurde, dass die neuen Landesherren eine zentrale Herrschaftsausübung anstrebten, schlug das Pendel um. 1430 und erneut 1443 beschlossen Lübeck und die Hanse dagegen erste militärische Abwehrmaßnahmen in Abstimmung mit den alten Hansestädten Berlin und Frankfurt (Oder), 1431 erneuerten die Städte der Mittelmark ihren Bund gegen den Landesherrn und 1432 überwanden Berlin und Cölln ältere Rivalitäten und vereinbarten den weitgehenden Zusammenschluss der beiden Teilstädte zwecks Stärkung ihrer Position. Die »Gewerke« genannten Zünfte folgten diesem Beispiel nicht, sondern blieben getrennt bestehen, vor allem die dominanten »Viergewerke« der Bäcker, Fleischer, Schuhmacher und Tuchmacher. Als 1440 anlässlich der in Form und Aussage umstrittenen Huldigung der Stadt gegenüber Friedrich II. und 1447 durch dessen Herbeiführung eines Fürstenbundes gegen die Städte klarer erkennbar wurde, dass die alten Rechte und Freiheiten der Bürger stark eingeschränkt werden sollten, kam es zu Protesten und Unruhen. Geschickt verstand es der Landesherr, die innerstädtischen Spannungen zwischen Ratsgeschlechtern und Viergewerken auszunutzen, indem er die Rolle des Schiedsrichters wahrnahm. In dieser Konfliktsituation sah sich der Rat veranlasst, die Schlüssel zu den vier Stadttoren dem Landesherrn auszuhändigen, sodann zurückzutreten, die Vereinigung der beiden Teilstädte entsprechend der Forderung der Viergewerke wieder rückgängig zu machen und ein Bestätigungsrecht des Markgrafen bei den Ratswahlen hinzunehmen. Außerdem wurde die Beteiligung der Viergewerke und der Gemeinde am Rat ins Auge gefasst, womit das innerstädtische Konfliktpotential zweifellos eine Stärkung erfuhr. Auswärtige Bündnisabsprachen wurden aufgelöst bzw. untersagt.
Dies alles führte, wie absehbar, sehr bald zu neuen Unruhen, was nach einer späteren Quellenaussage den Kurfürsten veranlasst habe, mit 600 Berittenen vor der Stadt zu erscheinen, sich die Tore öffnen zu lassen und am 29. August 1442 einen Vertrag zu formulieren, den man als »Unterwerfung« bezeichnen kann. Erst einmal war ein großes Areal an der Cöllner Stadtmauer an ihn abzutreten, um darauf seinen Herrschaftssitz, das Schloss, zu errichten. Weiterhin hatte die Stadt das gemeinsame Rathaus auf der Langen Brücke an den markgräflichen Hofrichter zu übergeben und auf die Hohe Gerichtsbarkeit und das einträgliche Stapelrecht (Niederlagsrecht) zu verzichten. Außerdem versprachen sie to ewigen tyden […] willige underdenige und gehorsame borger und undersaten sein und bliven zu wollen. Im Gegenzug bestätigte ihnen der Kurfürst den Besitz des von den Johannitern 1435 erworbenen Tempelhofes mit Rixdorf (Neukölln), Marienfelde und Mariendorf, allerdings vorbehaltlich der ihm zustehenden landesherrlichen Rechte.
In dem Maße, in dem der Markgraf nun Stück um Stück von der Stadt Besitz ergriff, formierte sich der »Berliner Unwille«. An der Jahreswende 1447/48 kam es zu offenen Feindseligkeiten, die Bürger fluteten eine Teil des Bauplatzes des Schlosses, errichteten einen Blockzaun an der Stelle der für den Neubau teilweise abgerissenen Stadtmauer, vertrieben oder verhafteten markgräfliche Amtsträger, ja sie drangen gewaltsam in die landesherrliche Kanzlei ein und vernichteten dort wichtige Dokumente. Auch versuchten sie erneut, Bündnisse gegen Friedrich II. zu schließen, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Der Landesherr brachte hingegen eine bedrohliche Koalition zusammen, sodass Berlin-Cölln am 25. Mai 1448 auf dem sogenannten Teyding, der Gerichtsverhandlung, erscheinen musste, auf der der Bischof von Brandenburg, einige Grafen und Städte eine Vermittlerrolle wahrnahmen. Am 18. Juni sahen sich Berlin-Cölln dann gezwungen, der »Unterwerfung«, dem sogenannten mußbrieff zuzustimmen. Darin berief man sich auf die Beschlüsse von 1442, sodass man letztlich auf diese beiden älteren Texte zurückgreifen muss, will man das Geschehen und die veränderten Bedingungen der nun landesherrlich bestimmten Stadt verstehen. Allerdings finden sich 1448 zwei gewichtige Ergänzungen in den Vertragsvereinbarungen. Die erste betrifft weitere Abtretungen städtischer Rechte an den Landesherrn, nämlich derjenigen an den Mühlen und Zöllen. Darüber hinaus wurde nun Anklage gegen die führenden Ratsgeschlechter erhoben, die zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden und zum Teil ihren Lehnsbesitz einbüßten, was später jedoch in vielen Fällen revidiert wurde.
Der Frage der Lehen kam deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil von ihr das wirtschaftliche Gedeihen der Stadt in starkem Maße abhing, da die reichen, aber auch manche ärmeren Bürger (pauperes cives) ihr Getreide, siligo que dicitur de Berlyn, nachweislich nach Hamburg und Flandern gewinnbringend zum Verkauf brachten (vergleiche die Artikel über das »Hamburgische Schuldbuch von 1288« und über das »Landbuch Karls IV. von 1375«). Die darin zum Ausdruck kommende enge und schon lange bestehende Verbindung von Berlin-Cölln zur Hanse, nunmehr auch als Bündnis zur Verteidigung der bürgerlichen Autonomie, hatte, so sahen es die Berliner, in der schweren Krise von 1447/48 kläglich versagt. Alle an diese gerichteten Hilfegesuche seien ins Leere gegangen und der Schaden für die Hansestadt Berlin-Cölln sei umso größer geworden, so schrieb man mit dem Ton der Verbitterung 1452 an Lübeck. Allerdings wurde der darin erklärte Austritt aus der Hanse endgültig erst 1518 vollzogen. Aber auswärtige Beziehungen und Bündnisabsprachen unterlagen nun der Kontrolle des Markgrafen, der zwar die Zügel gegenüber der Stadt bald wieder lockerte, aber das konkurrierende Kräftespiel zwischen Rat und Viergewerken gut für seine Zwecke nutzte.
Seinen Sieg über die unterworfene Stadt hat er seinem Plan entsprechend stolz nach außen bekundet. Die Kontrolle über den Zugang zur Stadt, die Errichtung der Residenz, über deren Charakter als »Zwingburg« (frenum/fraenum antiquae libertatis) man allerdings streiten kann, die Umwandlung des gemeinsamen Rathauses auf der Langen Brücke in den Amtssitz des landesherrlichen Richters gehörten ebenso dazu wie das Verbot des Abschlusses eigener Bündnisse, die Kontrolle und Korrektur der Ratsbesetzung und die Aberkennung der zentralen Hoheitsrechte, also von Gerichtsbarkeit, Stapel-, Münz-, Mühlen- und Zollrecht, womit wichtige Einnahmen und das städtische Selbstbewusstsein verbunden waren. Besonders ausdrucksstark war die Veränderung des Berliner Siegels. Seitdem saß der mächtige fürstliche Adler flügelspreizend mit seinen übergroßen Fängen auf dem Rücken des Berliner Bären, der unter dieser Last seine Zunge weit heraushängen ließ.
Ausblick
All dies sollte wohl zugleich eine Warnung für andere und ein Zeichen dafür sein, wohin die Reise gehen würde und tatsächlich ging. Gewiss hat sich manches bald wieder eingependelt, die Residenzbildung – wenn auch nur langsam und mit einigen Rückschlägen – Impulse vermittelt und letztlich, allerdings erst 250 Jahre später, also seit etwa 1700, den Aufstieg Berlin-Cöllns eingeleitet. Heute zeigt man mit der intensiv betriebenen Residenzforschung und durch die allenthalben erfolgende Rekonstruktion bzw. Restauration und Neugestaltung von Schlössern, Parks und Residenzlandschaften oft eine Bewunderung für die Schönheit der alten Fürsten- und Adelskultur. Die Berliner waren lange Zeit bezüglich der Wiedererrichtung des Residenzschlosses geteilter Meinung. Inzwischen jedoch findet die Konzeption als »Humboldt-Forum« überwiegend eine positive Resonanz, während die Erinnerung an die dynastische Tradition stark in den Hintergrund gerückt ist.
Das Urteil über die Ereignisse von 1448 fiel bei Historikern, Schriftstellern, Künstlern und Politikern, besonders des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sehr unterschiedlich aus. Es schwankte zwischen der Klage über den Verlust der Bürgerfreiheit und der Begrüßung des Nationalstaats mit seiner neuen Hauptstadt. Diese Diskussion lässt sich an der einst im Berliner Stadtbild vorhandenen Figur des Rolands exemplifizieren. Der um die Mitte des 19. Jahrhunderts viel gelesene Schriftsteller Willibald Alexis hat in seinem berühmt gewordenen Roman »Der Roland von Berlin« die Erinnerung an diese Ereignisse wiederbelebt und zur Frage nach ihrer Bewertung angeregt. Der Kurfürst habe nach seinem Sieg über die Doppelstadt Berlin-Cölln dieses Symbol bürgerlicher Anmaßung zerstören und zerstückelt in die Spree werfen lassen – so die literarische Gestaltung dieser sagenhaft kolportierten Überlieferung durch Alexis. Immerhin hat seine Schilderung der Ereignisse von 1442–1448/51 seit 1840 zügig zehn Auflagen erlebt und ist als Schauspiel (1905) sowie als Oper (von Ruggiero Leoncavallo, 1904) auf die Bühne gelangt. Auch im Stadtbild Berlins hat der Roland in diesen Jahren wieder seinen Platz gefunden, sei es mit der Errichtung des Rolandsbrunnens auf dem Kemperplatz 1902 oder mit der Nachbildung des Rolands der Neustadt Brandenburg vor dem Märkischen Museum 1905. Nachhaltiger als der auch heute noch verlegte Roman und die bildhafte Darstellung der Rolandsfigur hat aber wohl die Einschätzung durch die Historiker gewirkt, bis hin zu der Behauptung von Eckhard Müller-Mertens, dass 1448 in Berlin »dem Territorialfürstentum erstmals ein durchschlagender Sieg gegenüber der städtischen Autonomie gelang«. Mag dieses Urteil auch überspitzt und chronologisch nicht ganz gerechtfertigt erscheinen, so ist doch Kurfürst Friedrich II. von der Konzeption und Entschlossenheit her ein wichtiger Promotor des nun verstärkt einsetzenden Umbruchprozesses von der spätmittelalterlichen Stadtfreiheit zum frühneuzeitlichen Landesfürstentum gewesen.
Transkription
Beim nachfolgenden Text handelt es sich nicht um eine reine Transkription, sondern um eine Angleichung des Quellentextes an den heutigen Sprachgebrauch, wobei der Autor bemüht war, die Begrifflichkeiten und Satzkonstruktionen der Vorlage – soweit wie möglich – beizubehalten. Diese Art der Inhaltswiedergabe erleichtert den Zugang zum Quellentext wesentlich.
Urkunde über die Unterwerfung der Städte Berlin und Cölln gegenüber dem Kurfürsten Friedrich II.
1442 August 29
Wir, Bürgermeister, Ratsherrn (Ratmannen), Vierwerke (= die vier wichtigsten Zünfte: Knochenhauer/Fleischer, Schuster/Schuhmacher, Wollenweber/Tuchmacher und Bäcker), Innungsmeister (= der kleineren Gewerbe) und ganze (Stadt )Gemeinde, also alle Bürger, arme und reiche, der Städte Berlin und Cölln in der Mark Brandenburg an der Spree gelegen, bekennen für uns und für alle unsere Erben und Nachfolger (Nachkommen), die von nun an bis in ewige Zeiten in die genannten beiden Städte Berlin und Cölln kommen und dort wohnhaft sein werden, öffentlich mit dieser unserer Urkunde (Brief), dass wir in Ungnade des erlauchten, hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Friedrichs, Markgrafen zu Brandenburg, des Heiligen Römischen Reiches Erzkämmerers und Burggrafen zu Nürnberg, unseres gnädigen, lieben Herrn, gekommen sind wegen mannigfaltiger Schuld, Streitsache und Anklage, die Seine Gnaden gegen uns erhoben und zu haben gemeint hatte, was im Einzelnen beide Städte betreffend nicht zu berichten notwendig ist. Dennoch haben unseres genannten gnädigen Herrn Räte, Gefolgsleute (Mannen) und etliche Städte gegenüber Seinen Gnaden mit Fleiß vermittelt (verbeden) und die Streitsachen mit Seinen Gnaden zur Verhandlung (in dedinge) gebracht, wofür wir ihnen bestens danken. Und sie haben sich unseretwegen darum bemüht und zwischen dem genannten unseren gnädigen Herrn und uns vermittelt und verhandelt, wie hernach geschrieben steht, so dass wir, die oben genannten Bürgermeister, Ratsherren, Vierwerke, Innungsmeister und ganze Gemeinde der genannten beiden Städte für uns und für alle unsere Erben und Nachfolger, die für ewige Zeiten in den genannten unseren beiden Städten wohnhaft sein werden, dem genannten unseren gnädigen Herrn, Markgrafen Friedrich (II.), und unserem gnädigen Herrn Markgrafen Friedrich dem Jüngeren (dem Jungesten), Seiner Gnaden Bruder, allen ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, mit großer Eintracht, mit gutem Rat, mit Wissen und Willen aller Einwohner der genannten beide Städte gegönnt, erlaubt, zugelassen und unseren guten Willen dazu gegeben haben:
Nämlich, dass die genannten unsere gnädigen Herren, ihre Erben und Nachfolger, Markgrafen zu Brandenburg, in der genannten Stadt Cölln bei dem Kloster des Prediger-Ordens (= Dominikaner) bauen dürfen und mögen, was Ihren Gnaden, ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, dort geeignet und angemessen (beqweme) erscheint, nämlich genauer gesagt, die Stätte von dem Kloster des Prediger-Ordens, angefangen von der Klosterpforte nach der langen Brücke bis an die Spree, die Spree entlang flussabwärts bis an die Stadtmauer, alles, was in dem Raum und Winkel begriffen ist, und dazu den Werder (die Flussinsel), angrenzend an den Baugrund jenseits der Stadtmauer und des Grabens bis an die Spree; dazu die Stadtmauer von der Spree bis gegen das Kloster und die Klostermauer entlang bis an die (dortige) Stadtmauer, und zwar mit Türmen, Wikhäusern (= Türmen der Stadtbefestigung) und Gräben, so wie es die genannten unsere gnädigen Herren, Ihrer Gnaden Erben und Nachfolger, Markgrafen zu Brandenburg, auf den genannten Stätten mit Toren, Mauern und Brücken, hinten und vorne, hinein und heraus, wo ihnen das geeignet erscheint, bauen mögen. Dazu sollen sie volle Gewalt und Macht haben und ewig behalten, von uns allen ungehindert und auch von allen unseren Erben und Nachfolgern, ohne Arglist und Täuschung.
Auch haben wir mit derselben Eintracht und mit gutem Willen den oben genannten unseren gnädigen Herren, ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, das Rathaus zwischen den genannten beiden Städten auf der Spree( brücke) und die obere und niedere Gerichtsbarkeit in den genannten beiden Städten Berlin und Cölln und dazu die Niederlage (= Verpflichtung fremder Kaufleute, ihre Waren auf dem Markt zum Verkauf anzubieten und zu verzollen) und was zu denselben oberen und niederen Gerichten und zu der Niederlage bisher gehört hat, wiedergegeben und geben ihnen dies alles freiwillig wieder, in Kraft und Macht dieser Urkunde, innezuhaben, zu behalten und zu gebrauchen, zu ihrem Nutz und Frommen, Richter einzusetzen und zu entsetzen nach ihrem und ihrer Nachfolger Willen, wie ihnen das vorteilhaft (beqweme) sei, wie das alles auch zuvor bei der Herrschaft der Markgrafschaft Brandenburg gewesen sei; doch mit dem Unterschied, dass wir und unsere ansässigen Mitbürger ihre Kaufmannschaft und Güter nicht niederlegen müssen. Jedoch soll niemand von uns allen, noch von unseren Nachfolgern, unserer Herrschaft zum Schaden an der Niederlage fremdes Gut verhandeln/veräußern; handelte jemand dagegen, der handelt auf eigenes Risiko (eventhure, Abenteuer).
Auch ist es wohl bekannt und offenbar, dass wir uns alle einträchtig gegenüber den genannten unseren gnädigen Herren, ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, verpflichtet und dies beurkundet und besiegelt haben, wie und welcher Maßen wir uns mit dem Rat und der Ordnung des Rates (= besonders bei der Ratswahl) in den genannten beiden Städten Berlin und Cölln gegenüber den genannten unseren gnädigen Herren und ihren Erben und Nachfolger verhalten sollen. Und was dieselben unsere Urkunden, die wir unseren gnädigen Herren, ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, gegeben haben, darüber hinaus beinhalten und ausweisen, konfirmieren und bestätigen wir den genannten gnädigen Herren, ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, mit dieser Urkunde zu halten, ohne Widerspruch, Arglist und Täuschung.
In Sonderheit haben wir, die oben genannten Bürgermeister, Ratsherren, Vierwerke, Innungsmeister und ganze Gemeinde der genannten beiden Städte Berlin und Cölln, für uns und für alle unsere Erben und Nachfolger den genannten unseren gnädigen Herren, ihren Erben und Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, zugesagt und gelobt, sagen zu und geloben mit dieser Urkunde, sie an den oben gegebenen Zusagen, namentlich an dem Bauvorhaben (gebuwe), an dem Gericht, an der Niederlage, an dem Haus auf der Spree( Brücke) noch an irgend welchen oben genannten Sachen keinesfalls zu beeinträchtigen (irren), sondern alles die genannten unsere gnädigen Herren, ihre Erben und Nachfolger, Markgrafen zu Brandenburg, ungehindert behalten und besitzen zu lassen, nach Ihrer Gnaden Willen, Nutz und Frommen.
Und weder werden wir noch wollen wir nun hinfort etwas wider die genannten unsere gnädigen Herren, ihre Erben und Nachfolger, Markgrafen zu Brandenburg, nimmer mehr tun, sondern für ewige Zeiten ihre, ihrer Erben und der Herrschaft des Markgrafentums zu Brandenburg willige, untertänige und gehorsame Bürger und Untertanen (undersaten) sein und bleiben ohne Ausrede, ohne Arglist und ohne alle Täuschung.
Daraufhin haben uns die genannten unsere gnädigen Herren den Tempelhof mit allen Dörfern und Gütern erneut übereignet, wie wir ihn von dem Orden der Johanniter gekauft haben, und haben uns Ihrer Gnaden Bestätigungsurkunde darüber gegeben, die dies klar beinhaltet und ausweist; jedoch in der Weise, dass die genannten unsere gnädigen Herren, ihre Erben und Nachfolger, ihre Rossdienste, Wagendienste, Quartierrechte (?), Heerwagen, Landbeden (= Sondersteuern) und alle anderen herrschaftlichen Gerechtigkeiten daran haben und behalten sollen, wie sie sie und die Herrschaft zu Zeiten des Ordens daran gehabt und nun weiterhin zur Verfügung (in geweren) haben, ohne jeglichen Widerspruch und ohne jede Arglist.
Alle diese zuvor geschriebenen Stücke, Punkte und Artikel und jeder in Sonderheit, was von uns (= uns betreffend), unseren Erben und Nachfolgern in dieser Urkunde geschrieben steht, erklären und geloben wir, zuvor genannte Bürgermeister, Ratsherren, Vierwerke, Innungsmeister und ganze Gemeinde der genannten beiden Städte Berlin und Cölln, für uns, unsere Erben und Nachfolger den genannten unseren gnädigen Herren, Markgraf Friedrich dem Ältesten (Älteren) und Markgraf Friedrich dem Jüngsten (Jüngeren), Seiner Gnaden Bruder, ihren Erben, Nachfolgern, Markgrafen zu Brandenburg, getreulich, stet, fest und ungebrochen ewig zu halten und nicht zu verletzen (zu zerbrechen), ohne Ausrede, Arglist und ohne jegliche Täuschung.
Hierbei waren zugegen und diese oben verzeichneten Sachen haben verhandelt und vermittelt die wohlgeborenen, würdigen, edlen, gestrengen, ehrbaren und ehrsamen, unsere gnädigen und uns günstig (gesonnenen) lieben Herren und Freunde, Herr Albrecht, Graf von Lindow und Herr zu Ruppin, Herr Johannes, Abt von Lehnin, Herr Tobias, Abt von Chorin, Herr Hans von Torgau, Herr zu Zossen, Herr Hans von Waldow, Ritter, Herr Hans von Liechtenstein, Ritter, Herr Franz Steger, Propst von Berlin, Herr Hinrik Rotenborg, Mattisz von Bredow der alte, Wilhelm Vosz, unseres gnädigen Herrn Marschall, Heintze Kracht, seiner Gnaden Kanzler, Hans von Bredow, Heyne Puel, Achim Hake, Arnd Crummensee, Ebel von Arnym, Geverd Schapelow, Cune Barfud, Wilhelm von der Lype, alle unserer genannten gnädigen Herren Räte und Gefolgsleute (Mannen), Merten Winsz, Henrik Ryman und Fritze Belkow, Bürgermeister und Ratsherren zu Frankfurt (Oder), Materne Wardenberg, Severin Kyn, Jacopp Vosz, Hans Motzeltin, Jorge Helmbrecht und Mattis Hoenow, Bürgermeister und Ratsherren zu Spandau, Jacob Ringenwolde, Hans Yden und Clawsz Frysen von dem Rat zu Bernau und viele weitere glaubwürdige Leute. Zu wahrer Urkunde und auch zu größerer Sicherheit und Bekenntnis haben wir, die oben genannten Bürgermeister, Ratsherren, Vierwerke alle, für uns und die Innungen sowie für die ganze Gemeinde und für alle unsere Nachfolger unsere Siegel an diese Urkunde hängen lassen, die wir von (= für) alle Innungen und ganze Gemeinde mit gebrauchen, die geschrieben und gegeben ist nach Gottes Geburt vierzehnhundert Jahre und danach im zweiundvierzigsten Jahr am Mittwoch, am Tag der Enthauptung (decollationis) des Heiligen Johannes, in der Stadt Berlin.
Zehn angehängte Siegel an Pergamentstreifen mit Beschriftung (von links nach rechts): 1. Rat zu Berlin, 2. Rat zu Cölln, 3. Knochenhauer zu Berlin, 4. Knochenhauer zu Cölln, 5. Schuster zu Berlin, 6. Schuster zu Cölln, 7. Wollweber zu Berlin, 8. Wollweber zu Cölln, 9. Bäcker zu Berlin, 10. Bäcker zu Cölln.
Edition
Aus: Ferdinand Voigt (Hrsg.), Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik, Berlin 1869, Nr. 98, S. 381–383.
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Quellen & Literatur
Quellen, Regesten, Editionen
Paul Clauswitz (Hrsg.), Berlinisches Stadtbuch, neue Ausgabe, Berlin 1883.
Paul Clauswitz (Hrsg.), Das Stadtbuch des alten Köln an der Spree aus dem Jahr 1442 […], Berlin 1921.
Ernst Fidicin (Hrsg.), Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin, Bd. 1: Berlinisches Stadtbuch; Bd. 2: Berlinische Urkunden von 1261 bis 1550; Bd. 3: Berlinische Regesten von 949 bis 1550; Bd. 4: Berlinische Urkunden von 1232 bis 1700; Bd. 5: Geschichte der Stadt Berlin, Berlin 1837–1842.
Gaby Huch/Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Regesten der Urkunden zur Geschichte von Berlin / Cölln im Mittelalter (1237 bis 1499). Mit Nachträgen für die Zeit von 1500 bis 1815 (Berlin-Forschungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. VII/Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Bd. 13), Berlin2008.
Albert Krantz, Wandalia, hrsg. von Johannes Soter, Köln 1519, lib. XII, cap. X.
Goswin Freiherr von der Ropp (Bearb.), Hanserecesse von 1431–1476, Bd. 3, Leipzig 1881, S. 34f. (1443 August 30), und Bd. 7, Leipzig 1892, S. 842 (1452 Juli 22).
Ferdinand Voigt/Ernst Fidicin (Hrsg.), Urkunden-Buch zur Berlinischen Chronik 1232–1550, Berlin 1880.
Literatur
Albert Geyer, Geschichte des Schlosses zu Berlin, Bd. 1: Die kurfürstliche Zeit bis zum Jahre 1689, Berlin 1936, bes. S. 54–58 und 77–85.
Ernst Kaeber, Der »Berliner Unwille« und seine Vorgeschichte. Ausgewählte Aufsätze (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 14), Berlin 1964, S. 60–118.
Ders., Die Beziehungen zwischen Berlin und Cölln im Mittelalter und der Konflikt der beiden Städte mit Kurfürst Friedrich II., in: Hansische Geschichtsblätter 54 (1929), S. 19–88.
Eckhard Müller-Mertens, Geschichte Berlins von den Anfängen bis 1945, Berlin (Ost) 1987, 2. Kap.: Die Entstehung Berlins. Die mittelalterliche Stadt, bes. S. 140–142.
Ders., Zur Städtepolitik der ersten märkischen Hohenzollern und zum Berliner Unwillen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 4 (1956), S. 525–544; wieder in: ders., Berlin im Mittelalter. Aufsätze, Berlin 1987.
Werner Paravicini/Jörg Wettlaufer (Hrsg.), Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration im Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006; vgl. dort besonders die Beiträge von Jörg Wettlaufer, Zwischen Konflikt und Symbiose. Überregionale Aspekte der spannungsreichen Beziehung zwischen Fürstenhof und Stadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, S. 19–33, sowie Matthias Meinhardt, Chancengewinn durch Autonomieverlust. Sächsische und anhaltinische Residenzstädte zwischen bürgerlicher Selbstbestimmung und fürstlichem Gestaltungswillen, S. 37–62.
Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und die Städte der Mark im 15. Jahrhundert, Berlin 1892.
Winfried Schich, Das mittelalterliche Berlin (1237–1411), in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 1, 3. Aufl., Berlin 2002, S. 137–248.
Knut Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1411/12–1618), in: ebd., S. 249–340.
Empfohlene Zitierweise
Knut Schulz, Der Berliner Unwille, in: 100 Schlüsselquellen zur Geschichte von Berlin, Brandenburg und Preußen, URL: www.hiko-berlin.de/Berliner-Unwille-1442 (zuletzt abgerufen TT.MM.JJJJ). Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Textes die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.